Die Motoren der Evolution: Mutation und Selektion
Die grundsätzlichen Mechanismen der Evolution, basierend auf Mutation, Selektion (durch Faktoren der Lebensumwelt wie innerhalb der Art) und – der sollte nicht vernachlässigt werden – Zufall (als solche ist die Mutation selbst bezogen auf die Entwicklung auch anzusehen), sind gut untersucht und bekannt. Die Fortschritte der Genetik der letzten Jahre sind tatsächlich Atem beraubend.
Die „prekäre“ Mutation
Der Mechanismus der „normalen“ Mutationen ist heutiger Wissenschaft ein relativ „einfacher“ Vorgang und ist tatsächlich gut verstanden. Eine Mutation ein Gen oder Mutationen mehrere Gene betreffend ist bzw. sind entweder vorteilhaft, nachteilig oder neutral. Eine vorteilhafte Mutation kann bzw. wird sich sukzessive verbreiten, denn die Mutanten sind mit den Nicht-Mutanten in der Regel problemlos kreuzungsfähig. So wird aus einem Einzelgeschehen – eine Mutation ist ja immer ein individuelles Ereignis –irgendwann ein bemerkbares Geschehen, das die Situation einer biologischen Art betrifft. Nun gibt es aber eine Art von Mutation, die bezüglich der Organismen, die sich sexuell fortpflanzen, erhebliche Verständnisprobleme erzeugt. Es ist dies die Art von Mutation, die zur Spaltung (Fission) oder Verschmelzung (Fusion) von Chromosomen führt. Wie immer im Einzelnen von Biologen der Begriff der „Art“ definiert wird – und dies ist tatsächlich nicht völlig wissenschafts-einheitlich – mit einer unterschiedlichen Chromosomenzahl ist in der Regel eine Artgrenze in der sexuellen Fortpflanzung errichtet, denn eine unterschiedliche Chromosomenzahl von Fortpflanzungspartnern stellt ein massives Hindernis zur Erzeugung von Nachkommenschaft dar.
Der „tote Ast“
Damit ist solche Mutation praktisch ein „toter Ast“, solange nicht „zufällig“ im direkten Umfeld unter potentiellen Fortpflanzungs-Partnern eine weitere gleichartige Mutation stattfindet. Selbst damit würde der Beginn dieser neuen Art mit sehr wenigen Nachkommen einen außerordentlich extremen Flaschenhals darstellen. Hinzu kommt, dass das Paarungsverhalten ja keineswegs auf gleichartige „Mutanten“ fixiert ist. So wie in der Insektenbekämpfung das Aussetzen unfruchtbarer Paarungspartner ein grundsätzlich gebräuchliches Mittel ist, um eine Insektenpopulation zu vernichten oder zu reduzieren, muss auch hier davon ausgegangen werden, dass bei der beschriebenen Situation praktisch keine Verbreitung zu erwarten ist. Nun zeigt sich aber gleichzeitig die Veränderung der Chromosomenzahlen in der Evolution als außerordentlich häufiges Phänomen. Dabei lassen sich in bestimmten Familien von Organismen teils deutliche Tendenzen zur Fission, teils deutliche Tendenzen zur Fusion feststellen. Das beschriebene Paradox des „toten Astes“ gilt es durch glaubhafte Szenarien aufzulösen.
Die „massenweise Mutation“
Auflösen lässt sich der beschriebene Widerspruch nur, wenn man von einem massenweisen Auftreten solcher Mutation ausgeht. Nur dann kann man annehmen, dass es zu einer stabilen Population mit der neuen Chromosomenzahl kommen kann. Das bedeutet, dass dies durch ein weiteres massenweises Phänomen vorbereitet worden sein muss, wodurch eine molekulare Konstellation im betreffenden Chromosom (bei der Fission) bzw. in den betreffenden Chromosomen (bei der Fusion) entstanden ist. Dazu wären zwei Varianten vorstellbar. Beide Varianten erweitern das sinnvolle Paradigma des „Astwerks“ um das Paradigma des „Wurzelwerks“.
Variante I, Viren ergänzen das genetische Material
Es ist ein bekannter Vorgang, dass bestimmte Viren in der Lage sind, in das genetische Material einer Zelle einzugehen. Geschieht dies bei Keimzellen und findet der Einbau bei einer großen Zahl von Individuen an der gleichen Stelle in den gleichen Chromosomen statt, und würde dann die Neigung zu dieser Mutation einsetzen, dann eben könnte so eine massenweise Mutation entstehen, bei der die Wahrscheinlichkeit, dass die Mutanten zur Fortpflanzung aufeinander treffen, signifikant ansteigt. Es würde also eine „massenweise“ Mutation, denn für den betreffenden Organismus stellt auch dieser Einbau von genetischem Material ja eine Mutation dar, die Mutation in der Chromosomenzahl vorbereiten. Wir hätten also vor dem Einsetzen der Aufspaltung in zwei Arten das Zusammenführen von Genmaterial aus zwei Quellen zu verzeichnen, was man als „Wurzelwerk“ auffassen kann.
Variante II, die Kreuzung zweier recht entfernter Unterarten
Das zweite Szenario fußt auf einem geografischen Umbruchs-Szenario. Durch ökologische oder geologische Umbrüche kommen zwei Unterarten wieder in breiten Kontakt. Diese weisen durch in längerer Isolation entstandene erhebliche genetische Differenzen auf. Durch breite Vermischung könnte u. U. eine Hybrid-Generation mit erheblicher Neigung zur Chromosomenmutation entstehen, oder diese Hybridgeneration könnte diese Mutation direkt aufweisen. Vorstellbar wäre auch das häufige Auftreten dieser Mutation bei Rückkreuzung der Hybride.
Zu diesem Modell gibt es Ausführungen von einem „Exoten“ im Bereich der Human-Evolution (auf Grund seiner fragwürdigen „River Ape Theory“), die in diese Richtung gehen (1).
Plausibel erscheint auch die Annahme, dass in der Evolution hinsichtlich der Entstehung so unterschiedlicher Chromosomenzahlen bei den verschiedenen Arten beide Varianten eine Rolle gespielt haben. Dabei sind in manchen Fällen die phänotypischen Auswirkungen gering, in anderen Fällen können sie dramatisch sein. Ein Blick auf die Auswirkungen der Trisomie 21 wirft ein Licht auf die möglichen Folgen, wenn sich am gegentischen Material nichts außer der Chromosomenzahl verändert hat.
Neue Perspektiven
Dieser Ansatz der Szenarien könnte auch die Suche nach dem „Echo“ solcher Ereignisse in der Evolution befruchten, denn beide Varianten könnten erkennbare genetische Spuren hinterlassen haben. Angesichts der Tatsache, dass der heutige Mensch sich durch Verschmelzung zweier Chromosomen-Paare von allen Großaffen unterscheidet, könnte hier das berühmte Darwin-Wort eine neuerliche Akzentuierung erfahren:
„Licht wird auf den Ursprung der Menschheit und ihre Geschichte fallen.“
In diesem Zusammenhang würden auch genetische Ergebnisse, die von Einigen als eine längere „Trennungsphase“ zwischen dem Menschen und seinem nächsten Verwandten, dem Schimpansen, interpretiert werden, als der Reflex der Vermischung von Unterarten der frühen Hominiden interpretiert werden können (2). Eine später eingetretene Fusion der Chromosomenpaare in der Humanevolution würde den eben angesprochenen vorläufigen Befund nicht erklären, was natürlich als Solches noch kein Grund sein kann, die spätere Fusion auszuschließen.
Andreas Schlüter
1) http://www.riverapes.com/Me/Work/HumanHybridisationTheory.htm#_Toc509892888
2) http://www.nature.com/nature/journal/v441/n7097/abs/nature04789.html
Weiteres: http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC187548/
http://www.bioinf.uni-leipzig.de/~veiko/C14Chromosomenevolution.pdf
Interessante Website zur Humanevolution: http://www.evolution-mensch.de/
Linkliste meiner Artikel zur Evolution, Humanevolution und Frühgeschichte: https://wipokuli.wordpress.com/2013/07/06/linkliste-meiner-artikel-zur-evolution-humanevolution-und-vorgeschichte/