„Wir“
Es gibt eine unterschwellige Neigung selbst bei linksgestimmten Menschen, sich mit dem Kulturkreis, aus dem man stammt, oder dem gesellschaftlichen System, in dem man aufgewachsen ist oder lebt, zu identifizieren und ihm einen moralischen Bonus zu geben. So muss auch ich bekennen, ich bin nicht traurig darüber, in Hamburg und nicht in Ostberlin aufgewachsen zu sein und bin sogar sehr ehrlich überzeugt, dass mir in Hamburg Abweichungen von „offiziellen“ Positionen leichter durchgingen. Ja, ich will es auch freimütig sagen, – es müssen sich ja heute wieder LINKE für den Stalinismus entschuldigen – dass ich diese Degeneration der sozialistischen Revolution verabscheue.
Ich verabscheue aber auch Heuchler und Bigotterie. Und die Vorstellung, die sich auch bei nicht wenigen Linken (nach ihrem Selbstverständnis) findet, der Westen habe insgesamt doch eher die Freiheit geschützt, hat etwas von anrüchiger Bigotterie. Zu fragen ist ja: was gehörte und gehört zum „Westen“? Es sind ja nicht nur die sogenannten „Metropolen“, sondern auch alle Gebiete, die unter seinen „Einfluss“ fallen. Und, wenn es um die großen Metropolen geht, da ist zu fragen, wie sieht das Arsenal der Mächtigen aus, aus der Sache heraus nicht wirklich uneingeschränkt berechtigte Loyalität zu erzeugen? Da hatte schon vor längerer Zeit Denker genaue Vorstellungen. Die Antwort ist klar, mit Zuckerbrot und Peitsche! Und je mehr Zucker da ist, umso weniger unangenehm wird es, zur Loyalität gebracht zu werden. Regimen mit weniger Zucker bleibt da oft nur die Peitsche. Ein Imperium hat dagegen meist genug Zucker zusammengeraubt.
Die „Anderen“
Und im Ostblock reichte auch der kubanische Zucker nicht aus, um allen die „Hinführung“ zur Loyalität uneingeschränkt zu „verzuckern“. Für die Bundesrepublik hatte man sich aber entschlossen, die Sache deutlich zuckriger zu gestalten (mal von ein wenig KPD-Verbot, Studenten-Verprügeln (oder mehr) und Radikalenerlass abgesehen). Es gab da auch noch aus der so halbherzig durchgeführten „Entnazifizierung“ her so ein paar gar zu demokratische Grundsätze, die man nicht alle so einfach wegwischen konnte. Übrigens ist nach dem Zusammenbruch des Ostblocks der Zucker merkwürdigerweise deutlich weniger geworden.
Wer wissen möchte
Wer wissen möchte, wie trotz allen Geredes von Demokratie das Gruselstück der westlichen Dominanz in der heutigen Welt wirklich weiter vorangeschritten ist, wer wissen möchte, wie man Menschen dazu bringen kann, die Peitsche zu fürchten und doch den Peitschenschwinger zwar nicht zu lieben, aber immer wieder zu rufen, dem ist ein Buch zu empfehlen, das man vielleicht als eines der Besten der letzten Jahrzehnte bezeichnen kann:
Naomi Klein, „Die Schock-Strategie, der Aufstieg des Katastrophen-Kapitalismus“, S. Fischer-Verlag, SBN 978-3-10-039611-2, http://www.fischerverlage.de/sixcms/media.php/308/LP_978-3-10-039611-2.pdf
Hier kann man sehr genau erfahren, wie eine eigenständige wirtschaftliche Entwicklung Lateinamerikas abgewürgt wurde und dabei Abertausende ermordet und Millionen ins Elend und die Hoffnungslosigkeit gestürzt wurden. Man lernt, wie die Südafrikaner um die Früchte ihres Befreiungskampfes gebracht wurden, wie der berechtigte Freiheitswillen der Menschen im Ostblock in die Freiheit zu ihrer hemmungslosen Ausplünderung verdreht wurde. Man erfährt, wie der „Wirtschaftskriminelle“ Milton Friedman mit seinen „Chicago-Boys“ die KP Chinas zu einer kapitalistischen Schutztruppe umwandelte, und wie sogenannte „internationale Institutionen wie WTO und IWF als Garanten vornehmlich US-amerikanischer Kapitalinteressen funktionieren. Man versteht, wie die „Entstaatlichung“ wichtiger Bereiche der Gesellschaft wie Gesundheitswesen, Bildung, ja auch „äußere Sicherheit“ der gesellschaftlichen Kontrolle entzogen und dem Profitinteresse überantwortet werden.
Und schließlich entsteht vor unseren Augen das Bild einer Welt, die zunehmend, am Beispiel des Iraks grausig verdeutlicht, in „Grüne Zonen“ für die Wohlhabenden und „rote Zonen“ als Hölle für die Entrechteten verwandelt wird. Aber besonders eindrucksvoll: wir erleben einen Kapitalismus, der es geschafft hat, das, was früher ihm selbst hinderlich war, nämlich Katastrophen wie Tsunamis, Erdbeben und Epidemien wie auch menschengemachte Desaster des Krieges in Motoren des Profits umzuwandeln! Und wenn er das so gut kann, dann bietet es sich irgendwann an, Katastrophen auch selbst zu erzeugen.
Kontrolle des Westens
Natürlich haben viele Menschen auch im Westen selbst diese Entwicklungen nicht gewollt, haben über Alternativen nachgedacht und dabei auch manchmal nicht nur bang auf die „real existierende“ Alternative geschaut. Den Machthabern waren Gedanken, reale wie Denkalternativen selbstverständlich ein Gräuel. Dabei war die Gefahr, dass sie von Außen vertrieben werden könnten, natürlich gering, aber ein guter Anlass, ihre „Vorsorge“ zu begründen. Dazu gibt uns ein weiteres Buch gute Einblicke:
Daniele Ganser, „Nato-Geheimarmeen in Europe, Inszenierter Terror und verdeckte Kriegsführung“, Orell Füssli Verlag Zürich ISBN 978-3-280-06106-0,
http://www.danieleganser.ch/NATO_Geheimarmeen_in_Europa_1211310734.html
Aufbauend auf den Erlebnissen und Erfahrungen mit deutscher Besatzung war es Amerikanern und Briten relativ leicht, Menschen in vielen Ländern Europas zu überzeugen, dass man für eine Besetzung (nun als von der UdSSR ausgehend) Vorsorge treffen müsse. Es ging also zuerst einmal vorgeblich darum, „Stay Behind Armeen“ zu schaffen, die etwaigen Besatzern nach der Eroberung das Leben schwer machen könnten. Als solches könnte man dies nun den Gegebenheiten des „Gleichgewichts des Schreckens“ zuschlagen, das ja möglicherweise Europa die Schrecken eines Dritten Weltkrieges erspart haben könnte. Indessen spielte die antifaschistische Tradition der ehemaligen Opfer deutscher Besatzung unter den europäischen Ländern bald keine Rolle mehr – auch die westlichen Dienste wussten bald, dass eine sowjetische Invasion Westeuropas keineswegs anstand – es ging um anderes, nämlich um den politischen Kampf gegen linke Ideen und Politik. Dafür hatte man keinerlei „Berührungsängste“ gegenüber Faschisten und ehemaligen Kollaborateuren der Faschisten. In Italien hieß dann die Struktur auch „Gladio“ nach dem römischen Kurzschwert, wie ja auch die italienischen Faschisten gerne an römische Gewaltsymbole anknüpften. So entpuppte sich die wirkliche Aufgabe der geheimen und den „demokratischen“ Kontrollmechanismen komplett entzogenen Strukturen bald als massive Kontrolle der angloamerikanischen Politik über die Politik der europäischen Länder außerhalb des Ostblocks. Im Kampf gegen Linke Ideen und Politik beschränkte sich der Hass auch nicht auf „Kommunisten“, sondern bezog auch sozialdemokratische Politiker ein, die ebenso auf Todeslisten landeten.
Es war praktisch nur Frankreich, das aus der Situation schließlich die Konsequenz zog und nicht nur die Zentrale der geheimen Umtriebe des Landes verwies, sondern auch aus den Kommandostrukturen der NATO ausscherte, allerdings nicht aus der NATO austrat. Besonders deutlich wurde die gesuchte Nähe zu den deutschen Faschisten natürlich in Deutschland selbst, wo die USA über die Geheimstrukturen nicht nur Klaus Barbie (den „Schlächter von Lyon“) seiner gerechten Strafe entkommen ließen, sondern den Schreckensspezialisten Reinhard Gehlen (den Schöpfer der Organisation „Fremde Heere Ost“) zum Chef des wichtigsten Geheimdienstes der jungen Bundesrepublik Deutschland machten.
„Wehrwölfe“ gegen die Demokratie
Was Ganser nicht thematisiert, was mir aber auf der Hand zu liegen scheint: insgesamt stellt sich die Entwicklung der Geheimarmeen in der Zeit weniger von den Widerstandsbewegungen gegen die deutsche Besatzung im Zweiten Weltkrieg als vielmehr von der durch Himmler ins Leben gerufenen „Wehrwolf-Organisation“ (die nach einer Besatzung durch die Alliierten Angst und Schrecken verbreiten sollte) inspiriert dar. So ist es auffällig, dass diese trotz allen Fanatismus ihrer Schöpfer und Organisatoren nach Kriegsende praktisch nicht in Erscheinung trat. Dies legt den Verdacht nahe, dass, obwohl der „Meister des Grauens“ selbst nicht mit den Amerikanern „ins Geschäft“ kommen konnte, vielleicht schon dieses Netzwerk frühzeitig von den USA-Diensten übernommen und „integriert“ worden sein könnte. Es scheint als „Blaupause“ für Gladio & Co viel glaubwürdiger als z. B. die „Resistance“.
Letztlich stand entgegen allen Bekundungen, die Freiheit der Menschen gegen die Gefahren des Stalinismus und Post-Stalinismus zu verteidigen, das Bestreben im Vordergrund, die Interessen der Herrschenden in den USA und Großbritannien gegen die Freiheit der Bevölkerung in den betreffenden Ländern zu stellen und die Souveränität der entsprechenden Länder auszuhöhlen. Dabei spielte nicht nur Propaganda, Intrige und Rufmord eine Rolle, sondern wesentlich auch blanker Terror. Allerdings sollte er in den meisten Fällen nicht in seinem Ursprung sichtbar sein. Er sollte in der Regel als „linker“ oder „kommunistischer“ Terror wahrgenommen werden, er war (und ist?) vorwiegend „False Flag“-Terror.
Terror
Das Buch liefert (und bestätigt) viele Indizien, dass diverse Anschläge von Brabant in Belgien über den Bombenanschlag auf dem Münchner Oktoberfest bis zum großen Bombenanschlag auf den Hauptbahnhof von Bologna (mit über achtzig Toten) letztlich das Werk dieses geheimen Netzwerkes waren. Auch Manches der „RAF-Taten“ ist nicht frei vom Verdacht, noch weitere Hintergründe zu haben.
Gerne wird medial die „Sache“ als mit dem Kalten Krieg beendet dargestellt. Indessen hat der Westen nach seinem Sieg über den Ostblock keinerlei inneren Umbruch erlebt, aber „neue Gegner“ neben den inneren alten Gegnern allgemein linker Herkunft. Da gibt es den „Islamismus“, der zwar keinerlei weltpolitische Macht besitzt, aber dennoch mit einem „Weltkrieg“ bekämpft werden muss und auch in seiner Gefährlichkeit gezeigt werden muss. Nun geht man allerdings mit der islamischen Welt so um, dass zwar mal der eine oder andere Mensch aus diesem Raum zur Gewalt bereit ist (auch Selbstmord-Attentate kommen vor, ob man aber gerade diese aufrichtiger weise als „feige“ bezeichnen kann, ist eine andere Frage), aber nach den Erfahrungen mit der Wirksamkeit von „False Flag Operations“ kann man sich viele Fragen stellen, was die realen Hintergründe diverser Terror-Angriffe angeht. Diese haben, nicht erst angefangen mit dem berühmten „Nine-Eleven“, so ausgezeichnete Grundlagen für „beherztes“ weltpolitisches Agieren geliefert, dass man an der alten Kriminalisten-Frage „wem nützt es?“ nicht wirklich vorbei kommt. Ganser weicht ihr nicht aus, stellt aber als Politik-Wissenschaftler gewissenhaft die Fertigstellung der Antwort in die Zukunft.
Nein, wer diese beiden Bücher ernsthaft liest, hat nicht mehr viele Möglichkeiten, an den „Westen“ als „Reich der Freiheit“ oder als „Reich des Guten“ zu glauben.
Andreas Schlüter
Und ein kleiner Nachschlag an Buchempfehlungen:
Thomas Wieczorek, „Die verblödete Republik“, „Die geplünderte Republik“, „Die Dilettanten“ und möglichst noch ein paar mehr seiner Bücher!
http://www.buecher.de/shop/start/buecher/-/autoren_welt/autor/vnode/2/autor_id/226