Deutschland: Politik und optische Täuschung

Veröffentlicht: Oktober 8, 2012 in Politik
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Auch auf diesem Blog habe ich es bereits mehrfach zugegeben, ich bin ganz froh, nach meiner Geburt im August 1947 in Hamburg und nicht in Ostberlin aufgewachsen zu sein. Ich bin auch jederzeit bereit einzuräumen, dass nicht nur der Stalinismus sondern auch der Post-Stalinismus widerliche Formen der Gängelung und Repression hervorgebracht haben, die mich in meinem Lebensglück fraglos beeinträchtigt und mich vielleicht zu einem glühenden Gegner des Regimes gemacht hätten, hätte ich in seinem Machtbereich gelebt. Ich bin auch gerne bereit einzuräumen, dass man bei allen Ungerechtigkeiten und übrigens auch beruflicher Repression (Berufsverbote) dennoch gemessen an der gesamten Welt in der alten Bundesrepublik sozusagen auf einer „Insel der Glückseligen“ gelebt hat. Ergibt sich daraus aber eine Weltsicht und der Glaube, „wir waren die Guten“ und das Gesamtsystem des Westens, das sich nach dem Zusammenbruch des „real existierenden Sozialismus´“ noch erheblich ausgeweitet hat, sei das „Reich des Guten“, dann ist man überaus naiv und in der Gefahr, politisch gefährlich zu agieren.

Luftbrücke und Bombenteppich

us-luftwaffe

Es ist auch linken „Westlern“ im Allgemeinen bewusst, dass US-amerikanische Flugzeuge für einen ehemaligen Westberliner einen anderen Symbolwert haben als für einen Vietnamesen. Was aber auch eher linksgestimmten Menschen in Deutschland heute weitgehend abgeht, ist die Erkenntnis, welche Gefahr durch die Jahrzehnte von dem führenden Machtapparat des Westens, dem Machtapparat der USA, für die Welt ausgegangen ist, und, wie diese Gefahr sich noch seit den letzten 11 Jahren vermehrt hat. Auch linksgestimmte Menschen in Deutschland sind sehr dazu geneigt, sich im Glauben einlullen zu lassen, es müsse zwar Vieles massiv verbessert werden (wie z. B. die Situation der von HARTZ IV Betroffenen und die Umweltsituation), aber das ginge sozusagen „innerhalb des Systems“, ein wirklicher Bruch sei nicht nötig. Woher kommt dieser fromme Kinderglaube?

Die „Haussklaven“ im Schaufenster

Keine Frage, konstituierend für die deutsche Bewusstseinslage ist eben die Entwicklung in der alten Bundesrepublik Deutschland. Man hatte dort natürlich schon nach dem zweiten Weltkrieg ein – eher verschämtes – Gefühl dafür, dass dieses Land ungeheure geschichtliche Schuld auf sich geladen hatte. Wie sehr auch Wirtschaftskräfte in den USA daran mitgewerkelt hatten, die Nazis an die Macht zu bringen (http://www.youtube.com/watch?v=RqgZoStjfRY&feature=youtu.be), dessen war man sich nicht bewusst, war aber überglücklich, in den Machtbereich der USA (und ihrer westlichen Verbündeten) gefallen zu sein. So hatten ja auch schon Wehrmachtssoldaten geglaubt, sie könnten gleich nach der Kapitulation mit dem Westen gegen die Sowjetunion marschieren. Bis auf die prominentesten Schurken des Regimes kamen auch die übrigen Nazis recht glimpflich davon, dass unglaubliche Täter wie Klaus Barbie mit Unterstützung der USA entschlüpften, war allerdings vielleicht in „Insiderkreisen“ bekannt, aber nicht weithin. Jedenfalls war man einer nationalen Bestrafung alsbald entkommen und durfte bald wieder wirtschaftlich am massiven Nord-Süd-Ungleichgewicht als nördlicher Profiteur mitmachen. Da galt es, die USA bei Laune zu halten und sie als den „gerechten großen Bruder“ zu feiern. Es spielte dabei keine Rolle, dass Leute wie Hans Globke oder Hanns Martin Schleyer im Staate wieder wichtige Positionen übernehmen durften, oder, dass die deutschen Geheimdienste von den USA mit Hilfe von Altnazis wie Reinhard Gehlen aufgebaut wurden. „Wir sind wieder wer“ war die Devise! Und man saß im Schaufenster, das für die Reklame gen Osten gebaut wurde – einige fast so, wie gewisse Damen auf einer Straße in St. Pauli im Schaufenster sitzen. Politisch aber entwickelte sich statt einer wirklichen Abkehr von den moralischen Übeln der deutschen Vergangenheit eine Haussklavenmentalität. So wie Malcolm X zu recht die Mentalität des Haussklaven, der ein wenig an Wohlstand und Pracht des Herrn partizipieren darf, der menschlichen Befreiung, nämlich der Befreiung der vielen für den Herrn schuftenden Feldsklaven, als abträglich gekennzeichnet hat, so blind waren die guten Bundesbürger für die Leiden der Menschen in der vom Westen ausgeplünderten „Dritten Welt“, von jugendlichen Aufwallungen im Vietnamkrieg abgesehen, oder von den kurzfristigen Protesten gegen den Irak-Krieg.

Das Schaufenster wird geräumt

Nun, da die Systemkonkurrenz gefallen ist, und auch in Deutschland die Segnungen der „sozialen Marktwirtschaft“ schwinden und einer wirklichen „Amerikanisierung“ der Lebensverhältnisse Platz machen, nun, da das Schaufenster im Zuge des sozialen Ausverkaufes geräumt wird, ist man nur zögerlich bereit, sich zum Protest zu finden. Und fatal, die brutalen, aber gut getarnten Strukturen der Beeinflussung europäischer und gerade auch deutscher Politik durch die US-Machtelite, bestens wissenschaftlich herausgearbeitet z. B. durch den Schweizer Historiker Daniele Ganser, nämlich die sogenannten Gladio-Strukturen (die fraglos weiter bestehen), werden allzu gründlich ignoriert und nicht bekämpft (https://wipokuli.wordpress.com/2012/07/05/verfassungsschutz-und-nsu-der-skandal-der-nicht-begriffen-werden-soll/). Die deutsche Politik, in Teilen zaghaft willens, sich ein wenig aus der Transatlantischen Umklammerung zu lösen, wagt aber nicht über die Fesseln zu sprechen und lässt lieber Opfer und potentielle Opfer der „Strategie der Spannung“ den Preis bezahlen.

Die Mär von der „Westlichen Wertegemeinschaft“

lynching

Lange „Weißer Volkssport“ in USA: Lynching!

(heute von der rassistischen Polizei ausgeführt)

Natürlich sind Freiheit, Brüderlichkeit, Gerechtigkeit und Friedfertigkeit allgemeine menschliche Werte, denen in vielen Kulturen zu Recht gehuldigt wird, auch, wenn sie vielerorts von den Mächtigen mit Füßen getreten werden. So sind diese Werte natürlich auch bei vielen Menschen im Westen geachtet. Dass sie aber in westlicher, wesentlich durch die USA dominierter Politik eine übergeordnete Rolle spielen würden, ist eine wohlfeile Lüge, die nichts desto trotz gerade deutschen Medien gebetsmühlenartig wiederholt wird. Und, was nun die „demokratischen Werte“ angeht, da wird die Verlogenheit auf die Spitze getrieben und nicht einmal Fragen hierzu spielen eine mediale Rolle, von wenigen Ausnahmen abgesehen. Weder spielt die Demokratie in den USA noch eine ausschlaggebende Rolle (trotz aller demokratischen Rituale) noch spielt das Völkerrecht und die die Souveränität anderer Staaten eine solche. Die Sprache der deutschen Mainstreammedien ist aber voll von solchen Bezügen und liefert pausenlos Rechtfertigungen für die tollsten Schurkenstückchen westlicher Politik wie im letzten Jahr zu Libyen und jetzt zu Syrien. Natürlich feiert die verlogene Rhetorik auch zum Nahostkonflikt permanent fröhliche Urständ.

Was aber am meisten enttäuscht

Was aber wirklich am meisten enttäuscht, ist, dass auch meine Partei, DIE LINKE, sich dieser Scharade unterwirft! Es verursacht zumindest trauriges Kopfschütteln, dass trotz ausgedehnter Bemühungen in den USA, den Machtapparat zur Offenlegung der Vorgänge um „Nine Eleven“ zu zwingen, von der LINKEN kein Wort dazu kommt. Es frustriert zutiefst, dass das Gladio-Thema von meiner Partei nicht offensiv aufgegriffen wird. Es gibt keine Befreiung von sozialer Ungerechtigkeit, von Kriegstreiberei und von menschengefährdender Naturzerstörung unter der „Obhut der USA“, sprich unter der Obhut ihrer Machtelite! Und für linke Politik kann es keine „Staatsraison“ geben, wie Gregor Gysi im Zusammenhang mit der nötigen Kritik an Israel vor einiger Zeit behauptete. Auch DIE LINKE muss sich wohl von der optischen Täuschung, wir lebten „im Reich des Guten“, lösen!

Zusatz am 24. Juni 2015:

Aber Oskar Lafontaine ist immer wieder für klare Worte gut! „Fuck the US Imperialism!“ Wie recht er hat! Glückwunsch, Oskar! Ich schließe mich dieser Aussage aus vollem Herzen an.

https://www.facebook.com/oskarlafontaine?fref=ts

Andreas Schlüter

Links zum Thema:

Meine Artikel zu den USA: https://wipokuli.wordpress.com/2014/02/17/link-liste-meiner-artikel-zu-den-usa/

https://wipokuli.wordpress.com/2011/10/19/%e2%80%9eallmacht%e2%80%9c-usa-und-kein-ende-%e2%80%9efamily-of-secrets%e2%80%9c/

https://wipokuli.wordpress.com/2012/04/27/die-schone-neue-welt-der-inszenierungen/

https://wipokuli.wordpress.com/2012/01/08/kennedy-und-warum-es-nichts-mit-change-ist/

https://wipokuli.wordpress.com/2012/01/25/us-prasident-%e2%80%9eder-prachtigste-mann-der-welt-diener-zweier-herren/

https://wipokuli.wordpress.com/2011/09/09/nine-eleven-vor-zehn-jahren-gedenken-gedanken-und-geheimnisse/

Kommentare
  1. […] sehr der „große Meister“ die sozialen Vorteile Westdeutschlands während des Kalten Krieges als_Schaufenster begrüßte und benutzte, um dem Osten das „freundliche Gesicht des Kapitalismus“ zu zeigen und […]

  2. […] der „große Meister“ die sozialen Vorteile Westdeutschlands während des Kalten Krieges als_Schaufenster begrüßte und benutzte, um dem Osten das „freundliche Gesicht des Kapitalismus“ zu […]

  3. […] in der DDR aufgewachsen wäre. Aber bedeutet komfortabler zu leben auch moralische Überlegenheit? Waren_wir_wirklich_die_Guten? Ich wurde mir früh – ungefähr im Alter von 17 Jahren – bewusst, woher dieser […]

  4. […] Wie dem auch immer sei, die Organisatoren der Oktoberrevolution waren sich darüber im Klaren, wie schwierig es in diesem Land war, das Ziel einer sozialistischen Gesellschaft zu erreichen. Aber das Kriegselend wie das Elend, das das feudalistisch-kapitalistische Regime über die Menschen brachte, erforderte Konsequenzen. Und, wie immer der Gang der Geschichte des Versuches zu beurteilen ist, der Aufstieg dieser „Systemalternative“ hat den Imperialismus schwer in Bedrängnis gebracht und vielen Menschen auf der Welt in ihrem Ringen um Befreiung nicht unerhebliche Unterstützung beschert! Es ist nicht die Zeit für „westliches_Besserwissertum“. […]

  5. […] Wahn „wir unter der Führung der USA sind die Guten“. Das aber ist eine massive politische „optische_Tauschung“. Aber damit nicht genug: man hat auch der Destabilisierungs- und Zerstörungspolitik der […]

  6. redrudn sagt:

    Gratuliere Dir zu Deinem hervorragenden, weil bildungsförderlichen Beitrag. Dein Engagement trägt wesentlich dazu bei, dass die Ideale sozial gesinnter Menschen nicht einem plumpen Opportunismus oder inzwischen perfiden Reformismus zum Opfer fallen.

  7. WhiteHaven sagt:

    Den Glauben an eine Demokratie hier in Deutschland verliere ich langsam aber sicher immer mehr. Wir leben doch in der Zwischenzeit in einer Postdemokratie. Unsere Demokratie ist von den Reichen (reich englisch „rich“ gotisch „rikja“ indogermanisch „rik“ = Herrscher!!!) durch elegante Korruption neudeutsch Lobbyismus total unterwandert worden… TROTZDEM werde ich nächste Woche ca. 1000 Klar-Zeitungen in meiner Nachbarschaft verteilen 🙂

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