Angesichts der geschürten Erwartungen, dass nun, mit dem eben gewählten neuen Bundespräsidenten Joachim Gauck, eine neue Ära anbräche, die Ära der nicht zurücktretenden Bundespräsidenten, kann man es sich wohl erlauben, eine kleine Verortung vorzunehmen. Dieser muss das reumütige Geständnis des Autors vorweggeschickt werden, dass er sich tatsächlich geirrt hat (1). Die Vermutung, Gauck würde in der letzten Sekunde doch noch mit Merkels Segen verhindert werden, war allzu kühn, wohl deshalb, weil die politischen Kosten eines neuen Debakels allzu hoch gewesen wären.
Verfangen in Vorgeblichem
„Inthronisiert“ wurde ein Präsident seiner vorgeblichen „Freiheits-Verdienste“ wegen vor der letzten Präsidentenwahl als Kandidat durch Rot-Grün. Tatsächlich war er nicht Ausdruck der vorgeblichen Grundhaltung der beiden Parteien, des Sozialen und des Ökologischen, sondern er wurde Merkel in den Weg geworfen, eben, weil die Schwarz-Gelben angesichts der politischen Grundausrichtung von Gauck gar nicht gegen ihn sein konnten, und man sich Abweichler der Gegenseite erwartete, die es bis zum dritten Wahlgang ja auch genügend gab. Der Wahlvorgang lief schleppend und ähnlich unbeholfen wurde die „Affäre Wulff“, fraglos wesentlich von der transatlantischen Kampforganisation des Springer-Konzerns in die Wege geleitet (2), zum ärgerlichen Ende geführt. Behauptet wird hier: Wulff musste dran glauben, weil die zaghaften Versuche von wichtigen Teilen der Bundesregierung, sich – auch im Auftrag des deutschen Kapitals – aus der transatlantischen Umklammerung zu lösen, in deren Zuge gern das Scheitern „des Transatlantikers“ zu Guttenberg gern gesehen war, die Bestrafung im Auftrag des „großen Bruders“ nach sich zog. Zu genau wissen die wichtigen Teile des deutschen Kapitals, dass ihr Wohl nicht in der weiteren Gängelung durch die US-Macht liegen kann, die auch noch einen Währungskrieg gegen Europa führt. Das Imperium (die USA) lässt zu gerne die Vasallen für ihre imperialen Abenteuer bezahlen. Aber die Regierung kommt aus der Nummer der öffentlich verkündeten „transatlantischen Wertegemeinschaft“ schwer heraus. So muss sie ohne die Unterstützung der „Öffentlichkeit“, die in erheblichen Teilen ihr in diesem Anliegen wohl grundsätzlich folgen würde, auskommen.
Wie wird man „Gladio“ los?
Ein wichtiges Instrument der US-Einflussnahme auf die Politik in europäischen Ländern und zumal in Deutschland, waren die „NATO-Geheimarmeen“. Das vom Schweizer Historiker Daniele Ganser umfänglich beschriebene Monster (3), das auch weit über das rein Militärische hinausging, spielte gerade in Deutschland mit Sicherheit nach der Vereinigung in der Etablierung rechtsextremer Strukturen zum „Ausbalancieren“ des „sozialistischen Echos“ eine fatale Rolle (4). Der Bundesregierung dürfte inzwischen klar sein, dass sie das Krebsgeschwür, das u. a. die „Zwickauer Zelle“ direkt oder indirekt hervorgebracht hat, loswerden muss. Sie kann über die Krankheit nicht öffentlich sprechen, weil ihre politischen Vorgänger so sehr an seiner Pflege beteiligt waren. Nur von links her können Ross und Reiter genannt werden. Aber eines scheint mir auf der Hand zu liegen, Merkel und Co möchten „aus dieser Nummer raus“.
Ein verdecktes Ringen
Dass der Merkel-Kern der Regierung bei den Loslösungsbemühungen eigentlich einen verlässlichen Bundespräsidenten braucht, erklärt den wütenden Widerstand der Kanzlerin gegen Gauck (5). Ob die FDP-Nummer mit dem Schwenk zu Gauck mehr mit den stärkeren transatlantischen Bindungen der FDP oder mehr mit der taktischen Profilierungssucht zu tun hatte, lässt sich nur schwer entscheiden, aber die „Ampel-Drohung“ wirkte. Nützen wird es der FDP im Wahlkampf nächstes Jahr wohl kaum. Abzuwarten sein wird, ob Wulff der letzte Präsident war, der auf absehbare Zeit seine Amtszeit vorzeitig beendet hat. Für die Unterstützung des Loslösungsprozesses aus dem transatlantischen Griff, den auch gerade jede linke Bewegung nur begrüßen kann, bietet er kaum Unterstützung. Für die gesellschaftspolitische Auseinandersetzung ist er jedoch sogar voraussichtlich eine äußerst negative Größe. Hier werden sich der SPD und den Grünen die zu erwartenden Äußerungen, in denen ein Ausspielen der „individuellen“ Freiheiten gegen die Freiheit von Ausgrenzung und Ausbeutung sich schon angekündigt hat, zurechnen lassen müssen. Schon haben Unsozialdemokraten und Olivgrüne den „Rettungsschirm“ aufgespannt, dass man sich wohl auch manchmal kräftig über ihn ärgern würde. Da fällt einem dann das Gedicht vom Zauberlehrling ein. Ob da aber dann selbst noch der magische Spruch „Besen, Besen, sei´s gewesen!“ helfen wird, ist sehr zweifelhaft.
Ein genialer taktischer Zug?
Vorerst werden SPD und Grüne sich an den wahrscheinlichen Ergebnissen ihres Schachzuges im bevölkerungsreichsten Bundeslande laben. Die Nummer mit dem Haushalt, dem DIE LINKE als „Dulderin“ nicht zustimmen konnte und dem die FDP erwartungsgemäß im Profilierungsrausch nicht zustimmen wollte, als Ouvertüre zu Neuwahlen, soll eine gesicherte rot-grüne Mehrheit in NRW erzeugen. Die FDP fliegt raus und die derzeitige Profilierungsschwäche der LINKEn, auf die noch einzugehen ist, macht ihren Wiedereinzug in den Landtag keineswegs sicher. Nach „historischem“ Vorbild lechzt Rot-Grün danach, diese Entwicklung die „Wende“ im Bund einläuten zu lassen. Die SPD könnte ihre eigene Rechnung aufgemacht haben, die CDU statt Neuwahlen im Bund in die große Koalition zu treiben. Und nicht ganz auszuschließen ist, dass für die „Loslösungs-Strategie“ diese Variante letztlich von beiden angestrebt wird. Sollte Merkel und Co doch mehr zur Notwendigkeit der Bankenregulierung klar sein, als sie öffentlich erkennen lassen, werden sie eine sehr starke politische Basis brauchen. Gleichzeitig hätten sie im gesellschaftspolitischen Bereich mit den HARTZ IV-Urhebern einen sozialen Gesinnungsgenossen an der Seite.
DIE LINKE wäre sehr nötig
Nicht nur, um die Mehrheit der Gesellschaft davor zu bewahren, die Folgen des Spekulationsdesasters durch Niedriglohn- und HARTZ IV-Elend tragen zu müssen, nicht nur, um europäische Solidarität gegen die Verarmungspolitik an Europas Rändern zu organisieren, sondern auch, um gleichzeitig Friedenspolitik voranzutreiben und das, was die Regierung zu recht anstrebt, nämlich Loslösung aus der transatlantischen Umklammerung und dem Finanzmarktsumpf, gesellschaftlich und politisch zu unterstützen, wäre DIE LINKE wahrlich von Nöten (nur außerhalb dieser Umklammerung gibt es eine wirkliche Chance zur gesellschaftlichen Umgestaltung). Aber dazu ist scharfe Analyse, rhetorische Zuspitzung und eindeutige Positionierung nötig. Dazu ist eine kühne Eigenständigkeit unabdingbar, die begreift, dass dies nicht von den Fesseln einer juniorhaften „Koalitionssehnsucht“ oder dem Schielen nach Mainstream-Etiketten behindert werden darf.
Linke „Gauckelei“
Und was geschieht im Zuge der Gauckelei? DIE LINKE hat sich in eine ähnliche Nummer begeben und eine Kandidatin aufgestellt, die auch nicht viel mit ihren eigenen Grundsätzen zu tun hat. Ungeachtet der Verdienste der alten Dame um die Verfolgung von Nazi-Verbrechern und der Aufarbeitung deutscher Geschichte muss man feststellen, sie gehört zu den ErstunterzeichnerInnen Kriegspropagandamaschinerie für einen Iran-Krieg, „Stop the Bomb“ (6), sie ist Sarkosy-Unterstützerin (7) und so manches mehr. Sie ist aus dem Holz, von dem man der „Viererkoalition“ aus CDU, SPD, FDP und Grünen nur vorhalten konnte: die ist so, dass ihr sie wählen müsstet! Wie schwer es den schärfsten Zungen der LINKEn fiel, Klarsfeld dem Publikum „zu Verkaufen“, konnte man in Talkshows beobachten.
Die anstehenden Aufgaben
Die anstehenden Aufgaben kann DIE LINKE nur bewältigen, wenn verhindert wird, dass die gewonnene programmatische Klarheit durch manipulatorische Personalentwicklungen zerstört wird. Sie kann sie nur bewältigen, wenn Kräften, die eindeutig diese Programmatik unterminieren wollen, der Weg in die Parteien, in die ihre Ziele sehr viel besser passen, geöffnet wird. Auf die Gefahr einer Zerreißprobe hin muss die relative Klarheit des Programms in den Personalentscheidungen (einschließlich des Ausschlusses von Mitgliedern, die bewusst und vorsätzlich gegen die Grundsätze der Partei verstoßen) wiedergespiegelt werden. Für die Bewältigung der Aufgabe, diese Entwicklung zu fördern, kann man sich zurzeit nur eine Person an der Spitze der Partei vorstellen: Oskar Lafontaine!
Andreas Schlüter
1) https://wipokuli.wordpress.com/2012/02/20/werden-wir-vergauckelt/
2) https://wipokuli.wordpress.com/2012/02/17/kurzkommentar-zu-wulff/
3) https://wipokuli.wordpress.com/2011/07/28/ein-bedeutender-teil-der-terror-geschichte/
4) https://wipokuli.wordpress.com/2011/11/18/richter-adam-nachdenkliches-zum-hintergrund-der-zwickauer-zelle/
5) https://wipokuli.wordpress.com/2012/02/20/werden-wir-vergauckelt/
6) http://de.stopthebomb.net/petition-unterschreiben/erstunterzeichner-innen.html#c324
7) http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/bundespraesidentenwahl-linke-kandidatin-klarsfeld-bekundet-symphathie-fuer-sarkozy-11666797.html